finnische Literatur.

finnische Literatur.
fịnnische Literatur.
 
Bedeutenden Anteil an der finnischen Literatur (d. h. hier der finnischsprachigen Literatur) hat die Literatur der mündlichen Überlieferung, die sich zum Teil über ein Jahrtausend erstreckende Tradition der Lieder, Balladen, Zaubersprüche, Legenden, Sagen und Märchen, die bis ins 20. Jahrhundert lebendig geblieben sind und deren Formen und Motivik die heutige Literatur noch stark beeinflussen. Ein romantisch-nationaler, später wissenschaftlicher Sammeleifer brachte die mündliche Tradition während des 19. und 20. Jahrhunderts zum Druck oder in die Archive. Weltliterarische Geltung errang das Epos »Kalevala« (1835, endgültige Fassung 1849), das Elias Lönnrot aus den alten epischen, lyrischen und magischen Liedern zusammenfügte.
 
Die schriftlich fixierte Literatur wird zuerst greifbar im 16. Jahrhundert mit Mikael Agricolas Übersetzungen religiöser, erbaulicher und gottesdienstlicher Bücher und des Neuen Testaments. Im Kreise einfacher, meist übersetzter Unterweisungsliteratur sowie einiger Rechtstexte hielt sich das gedruckte finnische Wort auch in den folgenden Jahrhunderten. Im Ganzen war die finnische Kultur jedoch schwedisch überlagert. Lönnrots Werk bedeutete aber eine Erneuerung der finnischen Schriftsprache. Aleksis Kivi wurde zum Klassiker der finnischen Literatur mit an Shakespeare, Cervantes und L. Holberg geschulten Werken (Dramen und Prosa).
 
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichten, wenn auch mit Verzögerungen, europäisch literarische Strömungen Finnland. Minna Canth kämpfte in ihren sozialkritischen Dramen und Novellen für die Rechte der Frau. In dieser »Zeit der Ideen« schrieben der (Früh-)Realist Juhani Aho, der Tolstoj-Schüler Arvid Järnefelt und Johannes Linnankoski ihre ersten Erzählwerke. Zum Kreis der neuromantischen und impressionistischen Erzähler Anfang des Jahrhunderts zählt man Volter Kilpi, den Gesellschaftskritiker Joel Lehtonen sowie Aino Kallas und Maria Jotuni (auch Dramatikerin). Ilmaris Kianto, Maiju Lassika (* 1868, ✝ 1918) und Maila Talvio schilderten in ihren Romanen mit psychologischem Realismus, oft mit Humor das Alltagsleben. Der Nobelpreisträger (1939) Frans Eemil Sillanpää gestaltete die Natur und die Seele des Menschen seiner westfinn. Heimat.
 
Die Romantik der Jahre um 1890 drückte sich wesentlich auch in der Lyrik aus. In den Gedichten von Eino Leino erreichte der spätromantische Symbolismus - der mit den anderen Künsten, so mit der Musik (J. Sibelius) und der Malerei (A. Gallén-Kallela) in Wechselwirkung stand - seinen Höhepunkt. Auch seine Übersetzungen (Goethe, Schiller, Dante) und die des Lyrikers Otto Manninen trugen wesentlich zur weiteren Entwicklung der finnischen Literatursprache bei. Bedeutender Gedankenlyriker war Veikko Antero Koskenniemi.
 
Die staatliche Selbstständigkeit Finnlands (1917) bedeutete einen Wendepunkt auch in der Literatur. Liberale und Konservative traten mit eigenen Programmen auf. In den 20er-Jahren experimentierten die »Tulenkantajat« (Feuerträger) genannten liberalen Autoren mit dem Expressionismus, so etwa Uuno Kailas (*1901, ✝ 1933). Die politische Linke schloss sich 1936 in der Neugründung der »Feuerträger«-Zeitschrift (besonders Katri Vala, * 1901, ✝ 1944) und in der Gruppe »Kiila« (Der Keil) zusammen (u. a. Arvo Turtiainen, *1904, ✝ 1980). Der Roman blieb in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Ganzen realistisch; er pflegte einen bodenständigen Realismus, dessen immer wieder aufgenommenes Thema Leben und Schicksale bäuerlicher Gestalten oder Sippen sind, freilich öfter ironisch oder sozialkritisch zupackend (Lehtonen, Penti Haanpää, Lauri Viita). Mit Toivo Pekkanen kam schon frühzeitig die Arbeiterliteratur zu Wort; ihre stärkste Erzählerbegabung war Väinö Linna. Der Krieg war ein zentrales Thema bei Linna (»Der unbekannte Soldat«, 1954) und bei den Autoren der modernen experimentierenden Prosa nach dem Zweiten Weltkrieg (Veijo Meri, Paavo Rintala und Eeva Joenpelto). Hier v. a. wurde die finnische Literatursprache um die Ausdrucksformen der früher gemiedenen Umgangssprache erweitert. Ironie und Skepsis durchziehen auch die Tiefenstruktur der weltweit erfolgreichen Romane (»Sinuhe der Ägypter«, 1945) von Mika Toimi Waltari. Weitere bedeutende Erzähler sind Veikko Huovinen (* 1927), Antti Hyry und Juha Mannerkorpi (* 1915).
 
Innerhalb der finnischen Literatur tritt das Drama zurück. Volksstücke mit sozialkritischer Tendenz werden durch die vielen Liebhaberbühnen des Landes verbreitet. Nach dem auch theoretisch interessierten Symbolisten Lauri Haarla (* 1890, ✝ 1944) war es v. a. Hella Wuolijoki, Mitarbeiterin B. Brechts, die in der finnischen Gutsherrenwelt das Ende einer Feudalepoche darstellte. Viel Widerhall fand Arvo Salo (* 1932) mit dem revolutionären Stück »Lapua-Oper« (1966). In den 70er- und 80er-Jahren gab es eine beachtliche Produktion von Hörspielen und Dramen für Rundfunk und Fernsehen; zu nennen ist hier insbesondere Paavo Haaviko (* 1931).
 
Die Lyriker experimentierten mit fast allen Formen und Ausdrucksgesten des modernen europäischen Gedichts. Den Übergang zur Moderne bildeten noch die beiden »Abkömmlinge« der »Feuerträger«, Aaro Antti Hellaakoski und P. Mustapää; die Entwicklung der 50er-Jahre bestimmten neben Eeva-Liisa Manner Haaviko Marja-Liisa Vartio (* 1924, ✝ 1966) und Aale Tynni-Haavio. Zu den wichtigsten Vertretern der jüngeren finnischen Literatur gehören u. a. die Lyriker Pentti Saarikoski (* 1937, ✝ 1984), Väinö Kirstinä (* 1936), Lassi Nummi (* 1928), die Prosaschriftsteller Marja-Leena Mikkola (* 1939), Hannu Salama (* 1936), Erno Paasilinna (* 1935, ✝ 2000), Olli Jalonen (* 1954). - Zur finnischen Literatur in schwedischer Sprache schwedische Literatur.
 
 
Deutsche Sammlungen:
 
Neue finn. Prosa, übers. v. K. Bredow (1978);
 
Still wie Licht in windloser Gegend. Lyrik aus Finnland, hg. v. I. Schellbach-Kopra (1985).
 
Trajekt. Beitr. zur finn., lapp. u. estn. Lit., 6 Bde. (1981-86).
 
K. Laitinen: Finnlands moderne Lit. (a. d. Finn., 1969);
 
J. Ahokas: A history of Finnish literature (Bloomington, Ind., 1973);
 
Die Horen, H. 133: Finnland. .. Ein Überblick zur zeitgenöss. f. L. u. Kunst (1984);
 
Suomen kirjailijat 1945-1980, hg. v. M. Hirvonen u. a. (Helsinki 1985);
 
K. Laitinen: F. L. im Überblick (Helsinki 1989);
 
P. Lassila: Gesch. der f. L. (a. d. Finn. 1996).

Universal-Lexikon. 2012.

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